In seinem Manifest Kunst und Produktion stellte der Theoretiker der Produktionskunst Boris Arvatov 1926 fest, dass „die bürgerliche Kunstgeschichte noch heute, mit wenigen Ausnahmen, eine Geschichte der Künstler (der Heroen und Generäle der Ästhetik), nicht aber eine Geschichte der künstlerischen Verfahren, der künstlerischen Produktion“ sei. Die künstlerischen Verfahren sind Gegenstand dieses Projekts, das die Auswirkungen der Industrialisierung auf die Produktion in der bildenden Kunst verfolgt und der künstlerischen Aneignung der industriellen Herstellungs- und Bearbeitungsverfahren nachgeht. Anstelle einer Motivgeschichte oder Ikonographie der Arbeit in der bildenden Kunst werden die industriellen Produktionsprozesse untersucht, die in den industriellen Zentren des 19. bis 21. Jahrhunderts in Europa und den USA aus den Fabriken und Werkstätten in die Kunst transferiert wurden.
Als Analysekriterien greift das Projekt auf die von Gottfried Semper in seiner praktischen Ästhetik für Techniker, Künstler und Kunstfreunde während der Industrialisierung entwickelten Kategorien zurück: das Material, die Werkzeuge und Prozeduren. Deshalb werden zur Untersuchung auch Wirtschaftstheorien, Produktionshandbücher und Ingenieurwissen herangezogen, die zum theoretischen Kontext künstlerischer Arbeiten gehören, die sich mit der industriellen Produktion auseinandersetzen. Es gilt, nach den historischen, sozialen und politischen Bedingungen der künstlerischen Allianz mit der Industrie zu fragen, nach den Folgen der Industrialisierung für die Praxis und Theorie der bildenden Künste und nach dem im Zeitalter der (De)Industrialisierung neu ausgehandelten Stellenwert der künstlerischen Arbeit und Produktion.
Projektleitung: Dr. Kathrin Rottmann